...und da gehen Erwachsene wieder in die Schule und am Abend der Abschlussprüfung umarmt die Tochter die nervöse Mutter und schaut ihr tief in die Augen während deren Mund den folgenden Satz artikuliert: "Mami, du schaffst das. Ich glaube an dich. Wenn du diese Prüfung hinter dir hast, freue ich mich auf die gemeinsame Zeit, die wir dann wieder zusammen verbringen können. Schlaf gut." Küsst die Tochter die Mutter auf die Stirn und verlässt selbstzufrieden den Raum.
Ich fühle einen sanften Luftzug auf der Stirn und höre wie das Wasser den Bach runter fliesst... und ein Gefühl von unsicherem Boden unter den Füssen schwingt mit. So schnell können sich Rollen innerhalb der Familie wandeln. Die Worte haben sich wohltuend und tröstend angefühlt und der Kuss hat einen warmem Eindruck in meiner Brustgegend hinterlassen. Zuversichtlich bin ich schlafen gegangen.
Die Prüfung ist tatsächlich von gestern. Und jetzt ...
ein bisschen Freiheit fühlen
Mein Blick fällt auf das Buch, dass bereits seit Monaten auf meinem Nachttisch liegen geblieben ist. "Das grosse Buch der Gefühle". Daneben stapeln sich die Zeitschriften "Psychologie Heute", die ich zum Lesen aufgehoben habe. Eine davon die aktuelle März-Ausgabe mit dem Titelartikel "Alles fühlen, was da ist - nicht wegdrücken, nicht grübeln: Wie wir gut mit belastenden Emotionen umgehen." Und da kommt mir mein Plan von ein bisschen Freiheit wieder in den Sinn. Nach den Prüfungen wollte ich wieder mehr Zeit zum Lesen finden. Kreative Zeit mit meiner Tochter verbringen. Vermehrt anregende Gespräche mit meinem Sohn führen, die über "wie war es in der Schule?" und "wie war dein Tag?" hinaus gehen. Mich abends wieder mit meinem Partner an einen Tisch setzen, um dort ein bisschen zu verweilen.
Und... ich wollte mich persönlich mit diesen grossen Gefühlen auseinander setzen, die mich in der letzten Zeit - wo sich der Prüfungstermin plötzlich bedrückend angefühlt hat - immer wieder eingeholt haben. Unter Druck haben sich diese Gefühle nicht mehr so schnell regulieren lassen, wie ich es gerne gehabt hätte. In der Zeitnot habe ich diese unangenehmen Gefühle auch gerne einmal "weggedrückt".
wenn Gefühle etwas zu sagen haben
Andreas Knuf meint dazu in seinem Artikel der Psychologie Heute: "Dabei haben alle Gefühle eine sinnhafte Funktion und sind Ausdruck unserer Lebendigkeit. Wenn wir sie da sein lassen und uns nicht für unsere Gefühle verurteilen, dann können wir sie erkunden und besser verstehen, was sie uns zu sagen haben." Damit hat mir der Autor aus dem Herzen gesprochen. Ich weiss, dass ein bisschen Freiheit auch bedeutet meinen Gefühle die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.
zurück zum Gefühl
Folgende Anregungen sollen uns wieder auf die Spur zu unseren Gefühlen führen. Diese Anregungen stammen von Andreas Knuf. Ich habe diese gegen mein Prinzip - zuerst alles selbst ausprobieren, bevor weitergeben - noch nicht vollständig ausprobiert. Die Prüfung ist tatsächlich erst von gestern.
Gewisse Ansätze kenne ich und nutze diese im Mentaltraining. Deshalb überlasse ich es einfach dir und deinem Gefühl, was dich anspricht und was du ausprobieren möchtest... gerne lese ich von deinen Erfahrungen. Ich werde dich ebenfalls wissen lassen, was ich bei der Auseinandersetzung mit den grossen Gefühlen, über den Umgang mit diesen herausgefunden habe.
Öffne dich für deinen Körper
Der Ort, der den Zugang zu deinen Gefühlen ermöglicht, trägst du täglich bei dir. Gefühle nimmst du in deinem Körper wahr.
Achte auf Empfindungen, die du rein körperlich spürst. Stimme dich mental darauf ein. Beispielsweise nimmst du Druck, Enge, Unruhe oder Anspannung wahr.
Schliesse deine Augen, damit du ganz bei deinem Körper bist.
Atme bewusst tief ein und aus.
Nimm dir Zeit deinen Körper zu spüren. Vielleicht beginnst du von unten nach oben oder umgekehrt. Vielleicht weisst du intuitiv, wohin deine Aufmerksamkeit dich hinführt. Lass dich leiten und nimm wahr.
Gedanken dürfen einfach weiter ziehen (ich bin mir bewusst, dass dies alles andere als einfach ist). Beobachte diese wertfrei und richte deine Aufmerksamkeit wieder deinem Körper zu.
Nun frage dich, welche Gefühle mit der Körperwahrnehmung verbunden sind. Was ist das beispielsweise für eine Anspannung? Fühlt sich diese Anspannung ärgerlich an? Oder ist da eher eine müde Angespanntheit zu spüren? Vielleicht ist da sogar eine freudige Anspannung zu fühlen, weil du ein Fest feierst oder deinen Führerschein in Empfang nehmen darfst...
Das Öffnen deines Körpers ist ein erster Schritt zu Deinen Gefühlen.
Welche Gefühle kennst du? Sehnsucht, Schuldgefühle, Angst, Versagen, Geborgenheit, Müdigkeit, aggressive Gefühle wie Ärger, Wut und Zorn, Hass, Jähzorn, Trotz, Ironie, Sarkasmus, Zynismus und Bitterkeit, Einsamkeit, Würde, Verantwortungsgefühl, Trauer, Mitgefühl, Treue, Verrat und das Gefühl der Verbundenheit, Freude und Glück, Neugier, Leidenschaft, Langeweile, Liebe, Eifersucht und Neid, Von Sich-fremd-Sein zum In-sich-Wohnen so stehen sie im grossen Buch der Gefühle. Wahrscheinlich habe ich jedes davon einige Male im Leben durchfühlt, vielleicht sogar beim Wort genannt.
Schliesse zwischendurch einmal die Augen, um einen Zugang zu den Gefühlen zu finden, rät Andreas Knuf ausserdem. Gerade die visuellen Reize fordern unser Gehirn sehr und reduzieren die Wahrnehmungsfähigkeit für unsere Gefühle.
Auf der körperlichen Ebene kann es helfen, durch den Mund statt durch die Nase zu atmen. Mit der Mundatmung scheinen wir die Kontrolle über die Atmung eher abzugeben. Was mir selbst bis heute so nicht bewusst gewesen ist. Zudem soll jedes Gefühl seinen Atemrhythmus haben, weshalb wir den Atem nicht steuern, sondern frei strömen lassen sollten.
Zu guter Letzt kannst du Gefühle einfach wertfrei fühlen. Niemand erwartet von dir, dass du diese reflektierst oder korrigierst. Erinnerst du dich an die Kernaussage des JanuarBlogs? Du bist wertvoll, egal welches Gefühl du gerade durchfühlst. Du darfst wütend sein. Dieses Gefühl ändert nichts an deinem Wert. Andreas Knuf drückt es so aus: "Der erste Schritt ist immer das Erleben des Gefühls. Dafür sollte man sich zunächst Zeit geben, bevor man in einen Reflexionsprozess einsteigt."
«Ich sitze vor meinem Tisch, schliesse meine Augen und warte ... und plötzlich, wie Magie, finde ich mich in der untergegangenen Welt meiner Kindheit wieder.» (Grazia Deledda)
In diesem Sinne wünsche ich dir viel Sinn für dein Gefühl und die Achtsamkeit einfach die Augen schliessen zu können, zu warten ... und anschliessend zu beobachten, was passieren wird.
Danke für deine Aufmerksamkeit beim Lesen des Blogs. Danke für das Ausprobieren der verschiedenen Werkzeuge. Danke für dein Feedback, damit ich mich freuen und wachsen darf.
Quellen:
-Zitat Andreas Knuf: Psychologie Heute 03/ 2023, Artikel Alles fühlen, was da ist von Andreas Knuf, Seite 19
-Anregungen leicht modifiziert: Psychologie Heute 03/ 2023, Artikel "Alles fühlen, was da ist" von Andreas Knuf, Seite 17
-Zitat 1: Tischkalender "Kluge Frauen", 2021 arsEdition GmbH, Friedrichstr. 9, D-80801 München, ISBN 978-8458-4121-2
-Das grosse Buch der Gefühle, Udo Baer & Gabriele Frick-Beaer, 2022, erweiterte Auflage, Beltz Verlag, ISBN 978-3-407-86702-5
-Bilder aus der eigenen WinterFotoGalerie